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Da denkt man sich man hat schon alles erlebt. Irrtum, ich wurde eines Besseren belehrt, zwecks Zusatznutzen wurde mir auch gleich das Fürchten gelehrt.
Ich habe ja fast von Geburt an eine Sehbehinderung, ich war ein Frühchen und landete im Brutkasten. Recht lebensfroh war ich damals auch noch nicht und hörte gleich mal auf zu atmen. Anno dazumals wurden die Augen noch nicht abgeklebt, wenn Sauerstoff verabreicht wurde, das schädigte den Sehnerv. Ich bin am rechten Auge blind, am linken sehe ich zum Glück noch 25 Prozent. Ja, ich finde das positiv, ich habe diese kleine Einschränkung so lang ich mich erinnern kann, ich kenne es nicht anders und ich sehe noch genug, um das zu tun, was mir Freude macht. Für mich war das sonst nie ein größeres Thema.
Seit ein paar Jahren arbeite ich ehrenamtlich in einem Sozialverein mit psychisch kranken und ehemals obdachlosen Menschen, in unserer Einrichtung bieten wir Wohnbetreuung und ich bin das Sprachrohr unserer Klienten. Eine Bewohnerin hat mich gestern gebeten, sie in ihre Wohnung zu begleiten. Ich bin ihr entschlossen gefolgt und kam dann doch ins Wanken, als sie die Türe aufmachte. Es stank zum Himmel, ohne sie abwerten zu wollen, aber so eine übelriechende Wohnung hab ich in meinem Leben noch nie betreten.
Zuerst dachte ich, dass ich einfach wieder gehe, aber ich will niemanden allein lassen mit seinen Problemen und da stand Himmel sei Dank eine Dose Duftspray auf dem Wohnzimmertisch. Ich habe die Frau also freundlich gebeten, diesen auch zu benutzen. Das Dumme war nur, ich stand ihr direkt gegenüber und sie hat leider nicht geprüft wohin die Sprühdüse gerichtet war. Auf mich. Eine frontale Ladung direkt in beide Augen.
Ich bin gleich zum nächsten Waschbecken gehastet und hab mir die Augen mit Wasser ausgespült. Ein bisschen Erleichterung machte sich breit, doch dann fiel mir ein, dass man vielleicht lesen sollte, was auf der Sprühdose geschrieben steht. Nachdem ich die Informationen zuerst nicht entziffern konnte, habe ich ein Foto gemacht, Handykamera sei Dank. Das Bild hab ich dann so weit vergrößert, bis ich den Text lesen konnte, Lupe 2.0, und das Erste was mir ins Auge fiel war "verursacht schwere Augenreizungen", na vielen Dank auch, mehr brauchst net. Da kam Panik in mir hoch und ich Teilzeit-Sportskanone schoss gleich nochmal zum Waschbecken und spülte meine Augen wieder minutenlang aus.
Danach habe ich natürlich professionelle Hilfe in Anspruch genommen und es kam nach der Versorgung relativ schnell die Entwarnung. Der Arzt sagte, dass das linke Auge weit weniger betroffen ist als das rechte und nachdem dieses bereits erblindet ist, sei das ja kein Problem. Gut, okay. Ein bisschen sehr krass, diese Meldung, zwar wahr, aber trotzdem krass.
Abschließend meinte er noch, dass das wohl Berufsrisiko ist. So a la "daran kann man nichts ändern, das ist eben so" Ah ja, natürlich (Sarkasmus pur). Äh, hallo, nein, ich muss das nicht als Gegebenheit akzeptieren, ich lerne daraus. Letzten Endes bin ich also um ein paar "Duftnoten", eine Augenrötung und eine Erkenntnis reicher geworden. Ich kann nur hoffen, dass sich die kommunikativen und sozialen Fertigkeiten gewisser allzu spröde reagierender Mitmenschen auch noch vermehren mögen.
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